Vortrag von Kurt Egon Franchy, Pfarrer i.R.
gehalten am 23. November 2011 im Gemeindehaus Drabenderhöhe.
Wer kennt Michael Wolf-Windau?
Wer, außer den mit diesem Ort verwurzelten Menschen weiß, was Windau ist? Versuchen wir uns Windau vorzustellen. Windau ist ein Ort in Siebenbürgen.
Also mache ich die Suchmaschine „Google" auf. Doch Windau habe ich im Internet nicht gefunden. Ein Glück, dass ich den Ort mit rumänischem Namen kenne: Ghinda. Heute ein Vorort von Bistritz. Die ungarische Bezeichnung lautet: Vinda. Über Windau kein Wort. Ich nehme das LEXIKON der Siebenbürger Sachsen zur Hand. Hier steht, dass Windau 5 km östlich von Bistritz zu finden ist. Die „Windau" ist von Bergen eingeschlossen. Soviel im Internet.
Also suche ich in den Heimatbüchern. Davon gibt es drei. Pfarrer Johann Bredt, Pfarrer Günther Litschel und Michael Csellner haben Aufzeichnungen über die Geschichte des Ortes und der Kirchengemeinde verfasst. Die Quellen zur Geschichte von Windau hat Pfarrer Georg Keintzel erschlossen. Windau wurde erstmals 1332 urkundlich erwähnt. Michael Csellner, ein treuer Windauer und späterer Kirchenvater in Bistritz schrieb das Buch „Windau...Es war einmal". Daraus kann man schließen, dass es das deutsche, bzw. sächsische Windau nicht mehr gibt. Aus den Aufzeichnungen der Genannten erfahren wir Einiges. Doch befassen wir uns mit der jüngeren Geschichte.
Die jüngere Geschichte Windaus
Windau hatte 1941 597 Einwohner, davon 334 Deutsche, oder 55,9%. Dort lebten 263 Rumänen, 87 evangelische Zigeuner, 15 weitere Zigeuner und 5 Juden. Mit einem Wort: Eine sehr kleine sächsische Gemeinde. Doch was viele sächsische Windauer auszeichnete, war ihr Fleiß. Sie hatten immer gute Lehrer. Die Nähe zur Stadt bot wirtschaftliche und kulturelle Vorteile. Öfter besuchten Windauer Bistritzer Schulen und das Gymnasium. Die Windauer genossen ein gutes Ansehen in Bistritz und Umgebung.
Im Herbst 1965 wurde ich Stadtpfarrer in Bistritz und die Betreuung der wenigen Windauer, die nach der Evakuierung von 1944 in ihre Gemeinde zurückgekehrt waren, oblag mir. Also kehrte ich einmal monatlich bei Familie Eichhorn ein. Vater Eichhorn war Kurator und Hüter der Kirche. 14.00 Uhr war Gottesdienst in der dortigen Kirche. Meine Mutter begleitete mich und spielte die Orgel. Zur Gemeinde zählten weniger als zehn Siebenbürger Sachsen. Gewöhnlich waren alle im Gottesdienst. Eines Tages erhielt die Familie Eichhorn die Ausreisegenehmigung. Andere waren bereits in den Westen ausgewandert. Damit hatte sich mein Betreuungsauftrag erledigt.
Aus einer rumänischen Ortschaft zogen in späteren Jahren drei alte Frauen in ihr Elternhaus zurück. Ein Redakteur der „Kölner Rundschau", Oliver Klöck, wollte wissen, warum die nordsiebenbürger Sachsen ihre Heimat verlassen hatten. Er besuchte auf seiner Reise auch die drei Frauen. Sie berichteten Robert Gassner, der Gebietsleiter in der Zeit von 1940 bis 1944 war, habe die Evakuierung aller Sachsen angeordnet. Später habe der Stadtpfarrer Franchy die Familienzusammenführung betrieben und habe selbst die Gemeinde verlassen.
Den letzten Gottesdienst dürfte ich um das Jahr 1972/73 gehalten haben. Die Kirche war baufällig. Eine Gemeinde gab es nicht mehr. Die rumänisch-orthodoxen Gemeindeglieder hatten schon früher eine eigene Kirche gebaut. Im baufälligen Turm hingen drei wohlklingende Glocken. Eines Tages erschien Pfarrer Ludwig Klaster mit einer Mannschaft aus Urwegen und baute die Glocken ab. In Urwegen dachte man damals noch nicht an Auswanderung. Gemäß der geltenden Kirchenordnung war das mobile und immobile Vermögen aufgelöster Kirchengemeinden in das Vermögen der Landeskirche eingeflossen.
Ein schweres Erdbeben am 4. März 1977 setzt der Kirche in Windau schwer zu. Sie stürzte ein und wurde wenige Jahre später geschleift. Windau teilt das Loos mit anderen Orten aus Nordsiebenbürgen. Manchenorts erinnern sich nur noch ältere Rumänen daran, dass es in jener Landschaft deutschsprachige Menschen gab. Nur intellektuelle Kenner sind davon beeindruckt, dass hier deutsche Menschen ihre Identität über 800 Jahre, ihre aus deutschen Landen mitgenommene Sprache und Kultur gepflegt und bewahrt hatten. Der Name Windau wird in Zukunft wohl nur noch in Urkunden und im Zusammenhang mit Michael Wolf-Windau auftauchen. Michael Wolf machte dem Namen Windau Ehre, und ihn dadurch unvergesslich.
Wer war dieser Mensch? ... Michael Wolf-Windau
Michael Wolf wurde am 5. November 1911 in Windau geboren. Er entstammte keiner der angesehenen Familien aus Windau. Ein Teil seiner Vorfahren aus der Familie Motz waren Zugewanderte. Die Familie war arm. Es gab auch arme Siebenbürger Sachsen. Im Gedicht „Heimatbauern" schreibt der 19-jährige über seine Mitbewohner von Windau ...
Von meiner Treppe, im Abendschein,
seh ich die Bauern jahraus, jahrein,
wie sie mit Wagen, zu Fuß und zu Pferd,
müde kehren zum eigenen Herd.
Sie haben mit Pflug und Sense gewerkt
Und sich aus dem Wasserkrug gestärkt,
schweißklebend die Stirne, gebräunt die Hand,
so schritten sie über das Ackerland.
So kehren sie heim, wenn die Sonne geht
und Abendrot über den Bergen steht;
Ein starkes, gläubiges Bauerngeschlecht,
das beides ist: Hofherr und Ackerknecht!
Zugewanderte haben sich zu allen Zeiten nur schwer integrieren können. Sie hatten kein Erbe angetreten, sie mussten immer ganz unten anfangen. Die meisten unter uns kennen dieses Schicksal. Michael Wolf war ein zartes Kind und zudem seit seinem 10. Lebensjahr behindert. Er litt an einer schweren Rückenmarkerkrankung. Sie isolierte ihn physisch von seiner Umwelt.
In seiner Einsamkeit führte er ein stark verinnerlichtes Leben. Sein wacher Geist stellte Beobachtungen an, die in den verschiedenen Gedichten ihren Niederschlag gefunden haben. Der Himmel, die Natur und ihre Tierwelt waren seine Freunde. Dem Vater fehlte die Arbeitskraft des heranwachsenden. Das erschwerte sein Los zusätzlich.
Einleitend zu dem vom Hilfskomitee der Siebenbürger Sachsen 1966 veröffentlichten Gedichtband erwähnen Pfarrer Günther Litschel und Peter Schuller Menschen, die für das Schaffen von Michael Wolf Verständnis aufbrachten und ihn gefördert haben.
Neben Besuchern aus Deutschland, die gekommen waren um die alten, besonders schönen und reich bestickten Trachten kennenzulernen, werden namentlich sein Hausarzt Georg Müller und die rund 15 Jahre älteren siebenbürgischen Schriftsteller Heinrich Zillich und Franz Karl Franchy genannt. In manchen Gedichten reflektierte Michael sein Leben. Als 19-Jähriger war er bereits gelähmt und sein Leiden als unheilbar eingestuft. Damals schreibt er ...
„In Hütten der Armut wuchs ich groß,
mit wortkargen Männern teilt ich das Los,
mich hat der Frühling nur scheu gegrüßt
im Hof und Garten, die Sonne umfließt.
Wenn im Lenz um die Hütten die Wiese blüht,
geh ich schweigend darüber und singe mein Lied;
die Seele will jauchzen, - der Blick wird warm –
ich bin in der bittersten Armut nicht arm."
Das Leben des Bauern war von harter Arbeit von Morgen bis Abend bestimmt. Viel Zeit für Zärtlichkeit gab es nicht. Auch wenn Trost gespendet wurde, war er meist sachlich in der Wortwahl und Gemütsregungen wurden nicht gezeigt. Zärtlichkeit war in unserem hart gesottenen Bauernvolk eine Seltenheit. Der kranke, arbeitsunfähige Michael war für jede noch so geringe Zuwendung dankbar. Mit seiner empfindsamen Seele konnte er der Dankbarkeit Ausdruck verleihen ...
Meinen Eltern
Ich liebe euch, wenn ihr die schweren Hände
am Abend müde in die meinen legt,
und schlafe ruhig im Geviert der Wände,
weil eure Sorge um mich wacht und trägt.
Ich liebe euch, wenn sich der Morgen weitet,
und eurem harten Leben euch verpflicht.
Dann fühle ich mich stumm euch zugeseitet
und segne euch, die ihr mir Weg und Licht.
Ich liebe euch, die ihr voll Schweiß und Schwielen –
und groß und größer wacht in meine Zeit;
ihr seid mir fern, und doch kann ich euch fühlen,
ich liebe euch, weil ihr barmherzig seid.
Aus mehreren seiner Gedichte spricht die Verehrung seiner Mutter, die für ihn Verständnis hatte, ihn schützte, ihn pflegte und sich immer für ihn eingesetzte ...
Vorm Mutterantlitz
Wenn ich verzagt und müde bin und dumpf und quälend ist mein Blut,
trete ich vor dich hin – du Mutterantlitz, rein und gut.
Ich steh und präge dich mir ein, bis in mir aller Schmerz zerbricht.
Wie wär ich ohne dich allein – du, Mutter, bist das Tor zum Licht.
In einem seiner frühesten Gedichte beschreibt Michael Wolf seine Mutter ...
Unsere Mutter
Bis verwerkt und doch so lind, rau, doch gut sind deine Hände,
bist uns Acker, Saat und Wind, mühst um uns dich ohne Ende.
Rackerst dich und gehst gebückt, dass wir einst es besser haben,
selten dich ein Mund beglückt, selten kannst du dich erlaben.
Immer gibst du dich uns ganz, um dich reiner zu vollenden,
einen hellen Feierglanz trägst für uns du in den Händen. (Aus „Scholle und Saat")
Besonders berührt uns das „Gebet zum Muttertag". Es enthält viel Tiefe und Innigkeit, es eröffnet den Zugang zu dem Miteinander in den dörflichen Lebensabläufen und unter Gottes Schutz ...
Gebet zum Muttertag
„Herr Gott, du schenktest Mütter unserm Leben,
die durch ihr Lieben uns ihr Herz gegeben.
Du pflanztest sie in unserer Kindheit Garten,
dass sie in Treue unserer sollten warten.
Du ließt zuerst uns deine Wunder schauen
an stillen, starken Händen dieser Frauen.
Ihr Tagewerk war Not und hartes Mühn,
bis wir zu deiner Ehre durften blühn.
Und kam der Feind, das Heiligste zu rauben,
die Mütter konnten mehr, sie konnten glauben.
Sie haben selten unsere Hand genommen,
doch wissen wir, wie viel wir mitbekommen.
Und wenn sie einst zur letzten Ruh sich legen,
auch übers Grab hinaus bleibt noch ihr Segen.
Wir danken dir, Herr, über alles Leben,
dass du uns solche Mütter hast gegeben."
Zu seiner um einige Jahre jüngeren Schwester hatte Michael ein geschwisterlich liebevolles Verhältnis. Auch ihr widmete er Gedichte. Eines sei stellvertretend hier genannt ...
Im Dämmerschein
In dunkler Stube sitzen wir still,
das Schwesterchen Märchen hören will.
Es hat sich lächelnd an mich geschmiegt,
Erwartung in seinen Augen liegt.
Ich tu ihm die goldenen Tore auf:
...die sieben Geißlein kommen zuhauf.
Vom König erzähl ich, der lange gegrollt,
vom Bäumchen, das andere Blätter gewollt.
Ich weiß von Hexen und bösen Fraun,
von Kindern, die nachts die Englein schaun.
Da klingt durch den schneidenden Wintersturm
das Abendgeläute vom nahen Turm.
Wir beten leise – und sitzen allein
so froh und glücklich im Dämmerschein.
Das Leiden bestimmte den Tagesablauf. Seine einstigen Nachbarn, etliche Jahre jünger als er, erzählten mir, dass der junge Michael, von Kindern umgeben, oft auf der Treppe vor seinem Elternhaus gesessen, und sie mit Erzählungen fasziniert hatte.
Während seine Altersgenossen am Feld arbeiteten, pflegte er zu lesen. Ernst Wiecherts „Hirtennovelle", so wird berichtet, hatte ihn tief beeindruckt. Der in der Novelle vorkommende Michael zeigt eine geistige Verwandtschaft mit dem jungen Wolf. Wiecherts Michael ist arm, ist einsam aber immer in voller Verantwortung für die ihm anvertraute Herde des Dorfes.
In der Novelle lässt ihn Wiechert zum Beschützer der Tiere, später der gesamten Dorfbevölkerung werden. Am Ende stirbt er weil er das Lamm einer armen Dorfbewohnerin vor den räuberischen Kriegern, die das Dorf besetzen, schützen will. Hat sich Michael Wolf in einer ähnlichen Rolle gesehen?
Während eine Beziehung zu einem Mädchen nur Wunschtraum bleiben musste, genoss er es, den Kindern aus dem Dorf Windau Vorbild und Erzähler zu sein. Das war für ihn eine kleine Genugtuung für entbehrtes Glück. Als er nicht mehr gehen konnte bekam er ein Gefährt, eine Art Rollstuhl, mit welchem er von Kindern zum Gottesdienst gezogen wurde.
In der Kirche und bei Gott fand er Trost, Kraft und Zuversicht in seinen Entbehrungen und Leiden. Er klagte und anklagte nicht. Seine Verse sind von Lob und Dank erfüllt. Er weiß, was er Gott, seinen Eltern, dem Dorf und insbesondere der Bibel und der Kirche verdankt ...
Verzage nicht
Mein Herz verzage nicht, wenn Gott ein Leid dir sendet,
und mancher sein Gesicht, sein Lieben von dir wendet.
Sei stark und unverzagt, wenn sie dich von sich weisen,
wer es mit Gott gewagt, muss auch das Dunkel preisen.
Blick gläubig himmelwärts auf deinen harten Wegen;
du darfst an Gottes Herz mit allem Leid dich legen.
Als seine Altersgenossen an die Front zogen, um dort zu kämpften, schrieb er ihnen sog. Sonntagsgrüße. An einem Sonntag sogar an 14 seiner Landsleute. Pfarrer Günther Litschel, ein Sohn des Dorfpfarrers, mit Michael etwa gleichaltrig, bezeichnete diese Briefe als Seelsorge an Michaels Freunden. Mancher Brief mag auch als Mahnung verstanden worden sein: Komm heim! ist ein solches Gedicht ...
Komm heim!
Steh still ein Weilchen Kammrad, hörst du den Märzwind wehn?
Was willst du in der fremden Stadt, wo grau die Häuser stehn?
Ich seh, du bist aus hartem Holz, bist zäh, was willst du hier?
War nicht der Acker einst dein Stolz? War's nicht der Gärten Zier?
......
Nach starken Händen ruft das Land, komm heim, mach dir's nicht schwer,
wer sich von Feld und Pflug gewandt, hat keine Heimat mehr.
Wolf erkannte die Gefahren der neuen Ideologien, die auch vor seinem Heimatdorf nicht Halt machten. Er litt wohl daran, dass mancher Landsmann seine Wurzeln zu vergessen drohte, und fremdem Rufen folgte. Seiner Sorge gibt er Ausdruck, wenn er schreibt ....
Es ist noch nicht damit getan, dass Fahnen vor uns sind und Zeichen und uns ein Führer zeigt die Bahn.
Noch spricht uns jede Stunde an: Ihr werdet nie das Ziel erreichen.
Da Michael Wolf keine Feldarbeiten verrichten konnte, war er oft viele Stunden allein. Dann las er. Besonders gerne in der Bibel. Aus dieser Lektüre entstanden unzählige Gedichte. Unter Anderem setzte er Psalmen in unsere Alltagssprache um.
Im folgenden Gedicht erkennen wir Gedanken aus den Evangelien, dem 139. und dem 23. Psalm ...
Sei du bei mir
Wohin ich immer mich mag wenden, es ist kein Hoffen außer dir.
Mit deinen starken treuen Händen, sei du bei mir!
Wenn ich die breite Straße wähle, so führe mich der schmalen zu.
Verschmachtet mir auch Leib und Seele, bleib du mir, du!
Wenn es dem Herzen lang will werden und Dunkel meinen Weg verhüllt,
wenn Not und Sünde mich gefährden, sei du mein Schild!
Mein Stab, mein Hort, dem ich darf trauen, wenn nah die Nacht, die Herberg weit,
und lass mich einst dein Antlitz schauen in Herrlichkeit!
Exaudi
Alle Weiten sind voll Licht, alles drängt sich zu gestalten. –
Neigen will ich mein Gesicht und die schweren Hände falten.
Dass der Herrgott Saft und Kraft, Sonne, Wind und Regen sende
und auch heuer Brot uns schafft und den Hagel von uns wende!
Über Dorf und Acker hin jubeln helle Lerchenchöre –
Lobend lieg ich auf den Knien: Herr erhöre, Herr erhöre!
Einige Wochen später sieht Michael im Geist seine Landleute, die beim Abendmahl in der Kirche versammelt sind ...
„Sie neigen betend sich vor dem Altare,
zu teilen mit dem Ew'gen Kelch und Brot.
Den Duft des Ackers noch in Kleid und Haare,
die Hände schwielig und voll Sünd und Not.
Mühsel'ge sind sie, vor ihm ausgebreitet
sind ihre Seelen mit dem großen Leid.
Es drängt zum Mahl sie hin, das liebend ist bereitet
vom Heiland hier in dieser Zeitlichkeit.
Und während still sie mit bereitem Munde,
bereiten Herzen auf den Stufen knien,
fühlt jeder eins nur: dass in dieser Stunde
Gott alle Schuld beglichen und verziehn!
Im Unterschied zu manchen unserer bereits früh säkularisierten Landsleute spricht aus allen Gedichten von Michael Wolf sein fester Glaube an das Erlösungswerk unseres Heilandes, Jesus Christus. So in seinem Gedicht ...
Karfreitag
Wiesenglück und Sonnenglanz fangen an zu klagen –
schweigend steht der Waldeskranz, Wind will Wehes sagen.
Dunkel steigt das Kreuz empor, losem Spott ein Zeichen,
komm mit mir, o Mensch, vor's Tor, sieh den Herrn erbleichen.
Niemals ward in seinem Mund ein Betrug erfunden,
und doch ist er weh und wund an das Kreuz gebunden.
Deine Schuld ans Kreuz ihn schlug! Kannst du dies verstehen?
Durch die Schmerzen, die er trug, darfst du ledig gehen.
Komm und schau ihm ins Gesicht, das der Schmerz verdunkelt –
über dem kein helles Licht, kein Erbarmen funkelt.
Während ihn das Leid umspinnt wähnt er sich verlassen,
bis des Vaters Hände lind ihn im Tod umfassen.
Mensch, vor diesem Opfergang neig in Staub dich nieder!
Was der Heiland dir errang, raube ihm nicht wieder.
Sieh, er hat mit blutgem Schweiß dir das Heil erworben,
dich erkauft mit teurem Preis, ist für dich gestorben.
Dunkel steigt das Kreuz empor, losem Spott ein Zeichen.
Komm, o Mensch, mit mir vor's Tor, sieh den Herrn erbleichen.
Neben Glauben und Kirche nimmt die Heimat, das dörfliche Leben, die wundervolle Windauer Volkstracht in seinen Gedichten viel Raum ein. Dabei bleibt sein Blick nie an der Oberfläche haften. Dafür sprechen mehrere Beispiele. Im folgenden Gedicht reflektiert Wolf den Einfluss, den sein Dorf auf ihn selbst und sein Werk hat ...
Meine Heimat
Und gabst du mir auch so viel Hartes nur, ich lieb dich doch, du heil'ge Ackerflur.
Du Ewige, um die mein Schicksal kreist, ich bin dir verschwistert und verschweißt.
Dich hat mir Gott als Heimat zugedacht, mit Baum und Wolken, Tag und kurzer Nacht;
mit Berg und Wiesen, dunklem Tann und Tau, mit Hof und Zaun und weichem Mund der Frau.
Ich liebe dich, du heil'ge Ackerflur – doch fühlt mein Herz, du bist nicht Heimat nur!
Du bist das Maß und aller Dinge Sinn, du Mütterliche, der ich hörig bin.
Mein Glaube wuchs, wenn auch die Hände schwach, nichts war so mächtig, das dich mir zerbrach.
Nicht sinnlos scheint mir mehr, was ich durchlitt. Du gabst den Kampf mir in das Leben mit.
Ob ich vollende, was ich froh begann? Ob Frucht auch wird, was kühn erträumt der Mann?
Ich weiß es nicht, ich weiß nur das allein: wie Gott es will, wird meine Ernte sein.
Wir staunen über Michael Wolfs Sprache. In seiner Familie und Umgebung wurde sächsisch gesprochen. Manches Gedicht hat er in Mundart geschrieben, aber der sprachliche Reichtum seiner Gedichte wurde mit zunehmendem Alter immer größer.
Am Ende der 30er Jahre war Wolf bei jeder körperlichen Bewegung auf Hilfe angewiesen. Es zeichnete sich allmählich ab, dass seine Zeit bemessen sein würde. Sein Blick, seine Gedanken und seine Gedichte zeugen von Reife, die er mit seinen noch nicht 30 Lebensjahren erreicht hatte. Ein Beispiel dafür ist das Gedicht ...
Siebenbürgisches Bauernhemd
Im weißen Hemd, das ich dir gestickt, halt ich dich liebend an die Brust gedrückt.
Rosen und Nelken hab ich dreingenäht, und jeder Nadelstich war ein Gebet.
Dein Nam ist drinnen so viel tausendmal und Lieb und Treu und leiser Stunden Qual.
Nun hab ich dich mit ihm zum fest geschmückt, an deiner Hand der Herrgott mich beglückt.
In diesem Hemd will ich dich glücklich sehn, solang dich Gott auf dieser Erd lässt gehen.
Für Zucht und Reinheit steh in ihm auf Wacht, in diesem Hemd sei heilig jede Schlacht.
Vergiss es nicht: ein jeder Nadelstich war Lieb und Treu und ein Gebet für dich.
Das folgende Gedicht widerspiegelt eine hohe Ehrfurcht vor dem Ehrenkleid, das ein sächsischer Bauer als Kirchentracht aber zugleich als Verpflichtung zu tragen pflegte ...
Siebenbürgischer Kirchenpelz
Zum ersten Male hast du angelegt, das heil'ge Kleid, das nur der Bauer trägt,
zu deines Lebens feierliche Stund wo dir die Treu verspricht ein junger Mund.
Um deine Schultern schließt er sich lang und hell edel verbrämt mit silbrigem Otternfell.
So trugen ihn Geschlechter um Geschlecht, ein Recht dem Mann,
verwehrt dem led'gen Knecht.
So trag auch du ihn in der Jahre Kreis, so lang du lebst, zu deiner Heimat Preis.
Bei jedem Kirchgang mahn er dich aufs neu mit reinem Glanz der ehelichen Treu.
Er sei dir heilig bis zum letzten Tag, weil Gottes Wohlgefallen stets auf ihm lag.
Betrachtet man Wolfs Werk, stellt man fest, dass er verwurzelt in unerschütterlichem Glauben, eingebettet in das Dorfleben eines Siebenbürger Sachsen gedacht und geschrieben hat. Aber sein Horizont endete nicht bei den Bergen, die in der auf- und niedergehenden Sonne erglühten. Aufmerksam verfolgte er einen sich anbahnenden Wandel und das heraufziehende Unheil des Krieges, in den viele seiner Jugendfreunde gezogen waren.
Im April 1941, als die Deutschen Truppen sich auf den Feldzug gegen Russland vorbereiteten, schreibt Michael Wolf das bereits zitierte Gedicht ...
Es ist noch nicht damit getan, dass Fahnen vor uns sind und Zeichen
und uns ein Führer zeigt die Bahn.
Noch spricht uns jede Stunde an: Ihr werdet nie das Ziel erreichen.
In unseren Herzen arm und karg verdorrt das Korn in Neid und Sorgen.
Erst dann, wenn bis hinein ins Mark die Liebe rein, der Glaube stark
wird unsrem Volk der neue Morgen!
Im Dezember 1943, als schon mancher seiner Altersgenossen sein Leben an der Front gelassen hatte, schreibt er das Gedicht ...
Kriegsadvent
Die Glocke tönt und leise brennt das Licht, zum Himmel heb' ich dankend mein Gesicht,
weil in das Leid, in Hass und Lärm der Welt das Christkind seinen Einzug hält.
Er fragt den Kämpfer draußen in der Schlacht: Hast du dein Herz für mich bereit gemacht!?
Neigt sich zum Wunden, schmerzerfüllt und bleich: Sehnst du dich, Bruder, nach dem Himmelreich!?
Die Hand des Sterbenden erfasst er schnell: Ich bin bei dir; fürchte dich nicht, Gesell!
Er kommt zu allen, die verwirrt und irr: Ich seh dirs an, du weißt noch nichts von mir.
Mach auf die Tür, so heiß dein Herz auch brennt, dein König kommt zu dir, es ist Advent!
Am 17. September 1944, einem Sonntag, wurde Windau evakuiert.
Alle Siebenbürger Sachsen des Ortes sollten auf einen Fußmarsch von mehr als 1.000 km neben den Wagen mit dem Notwendigsten und den Alten einhergehen. Das Ziel war unbekannt. Michael Wolf, der den Anstrengungen des Trecks nicht gewachsen war, kam in einem Lazarettzug nach Chulm. Die Verbindung zu seinen Eltern ... riss ab.
Erst im Januar 1945 gelang es ihnen wieder zusammenzukommen. Doch da erkrankte der Leidgeprüfte schwer und starb am 25. Februar 1945.
In Haugschlag bei Lietschau/Niederösterreich wurde er von seinen Eltern und Landsleuten zu Grabe getragen. (gemäß Angabe des Bürgermeisteramtes mit der Eintragung: „Flüchtling").
Während der Evakuierung von Zehntausenden seiner Landsleute, die er im Geist und im Gebet auf ihrem schweren Weg begleitet hat, schrieb er sein letztes Gedicht. Er übertitelte es: „Auf der Flucht" ...
Auf der Flucht
... Ein leises Weinen liegt im Wind – fern im Karpatenland!
Dort, Mutter, Deutschland, weint dein Kind, das Siebenbürgerland.
Autor: Kurt Egon Franchy, Pfarrer i.R.