Jost KelpHeute feiert Dipl.-Ing. Jost Kelp seinen 80. Geburtstag.

Wir gratulieren ganz herzlich zum Freudentag.

 

Lebenslinien

 

Ich wurde als Sohn des Ehepaares Friedrich Stephan Kelp und Hilda (geb. Schankebank) am 21. Juli 1931 in Bistritz geboren. Dort besuchte ich die Volksschule und die ersten zwei Klassen am örtlichen Evangelischen Gymnasium. Gemeinsam mit meinen beiden Brüdern verbrachte ich im Kreise der Familie eine sorgenfreie Jugendzeit.

 

Am 23. August 1944 wechselte Rumänien ins Lager der Alliierten und erklärte Deutschland wenig später den Krieg. Dadurch war die Front plötzlich sehr nahe gerückt, und die Evakuierung wurde unerlässlich.

 

Das Lazarett der deutschen Wehrmacht, das in unserem Gymnasium untergebracht war, musste per Bahn in den Westen verlegt werden. An diesen Lazarettzug wurden acht Viehwaggons angehängt, in die  die ersten Bistritzer Familien einquartiert wurden. Am 13. September 1944 verließ der Zug Bistritz zunächst aus unverständlichen Gründen in Richtung Nordungarn in sehr schleppendem Tempo und sehr kurzen Fahrtabschnitten.

 

In dem Ort Beregszász in Nordungarn (Berehove in der heutigen Ukraine) gab es abends wieder einmal Fliegeralarm. Unser Zug fuhr zu unserem Schutz aus dem Bahnhof, aber die russischen Flieger waren schon über uns. Zuerst wurden sogenannte Christbäume abgeworfen. Das sind Fallschirme, an denen Leuchtkörper hängen und die Gegend taghell beleuchten. Dann fielen die Bomben. Ein Waggon der evakuierten Bistritzer wurde schwer getroffen und fünf Bistritzer wurden getötet, bzw. so schwer verletzt, dass sie später gestorben sind. In dem Buch " Bistritz in Siebenbürgen" Band 2 sind die Namen der tragisch ums Leben gekommenen Bistritzer festgehalten.

Ein furchtbares Ereignis.

 

Die Weiterfahrt nach Westen ging immer noch langsam vor sich und erfolgte über Debrecen, Budapest, Hegyeshalom, Wien und Linz. Wir waren vom 13. September bis 13. Oktober 1944 genau einen Monat lang unterwegs. Eine endlose Fahrt.

 

Mein Onkel  hatte aus der Zeit in Siebenbürgen Kontakte zu Offizieren und Jagdfreunden aus Linz, und daraus ergab sich die Möglichkeit, dass wir, vier Familien in die frei gewordenen Wohnungen dieser Jagdfreunde vorläufig einziehen konnten. Die Familien der Jagdfreunde waren wegen der Fliegerangriffe aufs Land gezogen.

 

Das Leben in Linz war durch die Fliegerangriffe bzw. die häufigen Fliegeralarme stark beeinträchtigt. Ich ging in die 3. Klasse einer Realschule, bis die Alarme immer häufiger erfolgten. Fast täglich in der Früh war Vorwarnung, was bedeutete, dass wir uns auf den Weg in den Luftschutz-Bunker oder -Stollen aufmachten.

 

Im Frühjahr 1945 haben die Fliegerangriffe auf Linz zugenommen, so dass mein Onkel  die Übersiedlung der Großfamilie ins nördliche Mühlviertel an die bayrisch-tschechische Grenze, in ein abgelegenes Gasthaus in Holzschlag, veranlasste. Hier erlebten wir auch den Einmarsch der Amerikaner, der relativ unspektakulär ablief. Bei einer Kontrollfahrt der Amerikaner in unserem Gebiet, erzählten die Soldaten so nebenbei, dass bald die Russen das Mühlviertel besetzen würden und sich die Amerikaner bis südlich der Donau zurückziehen würden.

 

Die Nachricht war für uns eine Katastrophe. Waren wir doch vor den Russen so weit geflohen, und sollte jetzt alles vergebens gewesen sein? Mein Onkel organisierte wieder einen LKW und vom Bürgermeister erhielten wir ein Schreiben, auf dem alle unsere Personalfotos geheftet waren. So ausgestattet, kamen wir zunächst nach Ottensheim an die Donau, wo wir mit der Fähre ans südliche Ufer der Donau gelangen wollten.

 

Fähre lag jedoch am südlichen Ufer vor Anker, und der Fährbetrieb war eingestellt. Dann fuhren wir weiter nach  Linz-Urfahr zur Nibelungenbrücke, um dort über die Donau zu gelangen. Der dort eingerichtete amerikanische Kontrollposten verweigerte vorerst die Fahrt über die Brücke. Mit Hartnäckigkeit und Bittgebärden konnten wir die Durchfahrt doch letztlich erwirken. Wir fuhren in die Freiheit. Die späteren Erzählungen und Erfahrungen anderer Bistritzer, die in der russischen Zone geblieben waren und nach Hause in die alte Heimat gebracht wurden, führten uns vor Augen, welchem Schicksal wir entgangen waren.

 

Wir kamen in einem kleinen Ort in der Welser Heide in Axberg unter. Hier lebten bereits  entfernte Verwandte im Dorf. Um zusätzliche Lebensmittel zu bekommen, Geld wurde von den Bauern nicht angenommen, mussten meine Mutter und ihre Schwester aufs Feld arbeiten gehen. Dafür gab es dann Kartoffeln, Butter und Eier. Außerdem waren die Strickkünste meiner Mutter und der Tante begehrt, da  mit beigestellter Wolle schöne Jacken entstanden, die weitere besondere Lebensmittel neben den Lebensmittelkarten brachten.

 

Nach einigen Monaten kam mein Vater aus der amerikanischen Gefangenschaft. Er war bei unserer Flucht beim ungarischen Militär und baute Verteidigungsanlagen in den Karpaten. Mit dem Rückzug der Armee kam mein Vater bis Budapest, wo er zum deutschen Militär wechselte. Er wurde nach Westdeutschland  zur Ausbildung abkommandiert. Beim ersten Fronteinsatz wurde er verwundet und geriet in amerikanische Gefangenschaft. Von dort kam er dann zu uns. Die Wiedersehensfreude  war riesengroß.

 

Von Axberg bin ich täglich in die Schule, 3.Klasse Realgymnasium, gefahren. Das bedeutete 4km Fußmarsch zur Westbahnstation Oftering und ca. 25 Minuten Bahnfahrt.

Mein Vater hatte inzwischen einen Posten bei einer Baufirma erhalten und bald für uns alle eine Wohnung in einer alten Kaserne eingerichtet. Damit zogen wir nach Linz und der Schulweg war einfacher geworden.

 

Nach der 4. Klasse Realgymnasium bin ich an die Bundesgewerbeschule, Abteilung Tiefbau, gewechselt und habe dort auch maturiert.  Nach zwei Jahren Praxis bei einer Baufirma entschloss ich mich fürs Studium an der Technischen Hochschule (heute Technische Universität). Nach 6 Jahren legte ich die 2. Staatsprüfung ab und begann mein zweites Berufsleben. In einem Zivilingenieurbüro arbeitete ich als Statiker an Stahlbeton- und Spannbetonbrücken, sowie Industriebauten.

 

1963 heiratete ich meine große Liebe, Hedda Wolff, ein Hermannstädterin. Ein Jahr später kam unsere 1. Tochter zur Welt und weitere zwei Jahre später unsere Zweite.

 

Im Jahre 1967 übersiedelten wir ins eigene Haus in Niederösterreich. In dieser Zeit beendete ich meine Angestelltentätigkeit in dem Ingenieurbüro und eröffnete mein eigenes Zivilingenieurbüro.

 

1972 kam unser Sohn zur Welt, der aber leider nach eineinhalb Jahren starb. Ein großer Verlust für die ganze Familie.

Ich habe vier Enkel, von meiner älteren Tochter zwei Buben, die heute 18 und 17 Jahre alt sind und von meiner jüngeren Tochter einen Bub und ein Mädchen, die heute 19 und 17 Jahre alt sind. Ich bin riesig stolz auf meine Kinder und Enkel und erfreue mich an ihnen.

 

Meine berufliche Tätigkeit als Zivilingenieur für Bauwesen habe ich bis zu meinem 70. Lebensjahr ausgeübt, und in dieser Zeit im Bereich Wien, Niederösterreich und Oberösterreich bauliche Projekte berechnet und planlich-konstruktiv bearbeitet.

 

Ich bin dem Schicksal dankbar, dass ich in meiner bisherigen Pensionszeit meine Familie und meine Freunde in guter Gesundheit erleben kann und weiter in Lage bin, sportlich zu leben, natürlich dem Alter entsprechend.

 

Im Mai 2011 habe ich mit meiner Frau anlässlich einer Siebenbürgenfahrt auch Bistritz besucht und dabei mein Elternhaus auf der Promenade besichtigt, dass von meinem Großvater, dem städtischen Oberingenieur Oskar Kelp, erbaut wurde.

 

Ich hatte das große Glück, das Haus auch von innen besichtigen zu können und habe alte Erinnerungen aufleben lassen. Ein überwältigendes Erlebnis. Der anschließende Gang durch die Altstadt von Bistritz hat ebenfalls viele, vergrabene, schöne Erinnerungen in mir wieder geweckt.