Karl Sanchen (25. September 1874-15. Oktober 1934)

Bürgermeister von Bistritz 1919-1934

Rede gehalten von Günter Klein am 15. September 2024 auf dem ev. Stadtfriedhof in Bistritz

Abbildung 1 Bürgermeister Karl Sanchen
Abbildung 1 Bürgermeister Karl Sanchen
 
 Wir haben uns heute am Grab von Karl Sanchen versammelt, um des letzten demokratisch gewählten siebenbürgisch- sächsischen Bürgermeisters von Bistritz zu gedenken. Am 15. Oktober jährt sich sein Todestag zum neunzigsten Mal. Ich betone das Wort demokratisch deswegen, weil Bistritz mit Norbert von Kuales noch einen siebenbürgisch- sächsischen Bürgermeister im Zeitraum 1940-1944 hatte. Dieser wurde allerdings nicht demokratisch gewählt, sondern von den ungarischen Behörden zum Bürgermeister ernannt.
Karl Sanchen war Bürgermeister der Stadt Bistritz im Zeitraum 1919-1934. Seine Wahl zum Bürgermeister im Jahr 1930 sollte die letzte demokratische Wahl eines Bürgermeisters von Bistritz bis 1990 bleiben.
Wer war eigentlich Karl Sanchen?

 

 Karl Sanchen wurde am 25. September 1874 als viertes Kind des Ehepaares Franz Heinrich Sanchen und Theresia Sanchen geb. Zehner in Bistritz geboren. Sein Vater, Franz Sanchen, von Beruf Schneidermeister, war aus Wolhynien nach Bistritz zugewandert, seine Mutter Theresia Sanchen entstammte einer angesehenen Bistritzer Familie.
Nach dem Besuch des Bistritzer evangelischen Obergymnasiums, das er mit der Matura abschloss, studierte Karl Sanchen Rechtswissenschaften in Debrezin, Budapest, Klausenburg und Wien. Nach Beendigung des Studiums war er ab 1899 in diversen Funktionen im Bistritzer Magistrat (Stadtrat) tätig.
1900 heiratete er die gebürtige Bistritzerin Therese „Luise“ Ludwig (geb. 1876). Aus ihrer Ehe gingen vier Kinder hervor.
Von 1915-1918 nahm Karl Sanchen als Oberleutnant der Reserve am Ersten Weltkrieg teil, wobei er verwundet wurde. Er diente im Bistritzer Hausregiment, dem K.u.k. Infanterieregiment Nr. 63 „Freiherr von Pitreich“.
Aus dem Krieg zurückgekehrt, war Sanchen ab Ende 1918 wieder im Magistrat der Stadt Bistritz tätig. 1919 wurde er zum Bürgermeister der Stadt Bistritz gewählt und somit Nachfolger von Franz Schreiber, der die Geschicke der Stadt im Zeitraum 1906-1919 lenkte und als großer „Modernisierer“ in die Geschichte der Stadt Bistritz einging. Während seiner Amtszeit wurde in Bistritz die Kanalisation (1910-1913), die Wasserleitung (1907-1911), das Elektrizitätswerk (1913) und das Wehr (1913) eingeführt bzw. gebaut. Zudem wurden zwei neue Schulgebäude (heute CNAM, CNLR) errichtet und das erste Kino in Bistritz (Omnia 1911) öffnete seine Türen.
Die erste große Amtshandlung war für den frischgebackenen Bürgermeister Sanchen der Empfang des rumänischen Königspaares am 26. Mai 1919, das eine Reise durch Siebenbürgen unternahm nach der Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien vom 1. Dezember 1918. Es sei daran erinnert, dass auch die Siebenbürger Sachsen auf dem Großen Sachsentag von Mediasch am 9. Januar 1919 für die Vereinigung Siebenbürgens mit Rumänien gestimmt haben.
Karl Sanchen konnte die Modernisierung der Stadt Bistritz nur in einem bescheideneren Maße fortsetzten als sein Amtsvorgänger, da es an finanzieller Unterstützung durch die Bukarester Regierung mangelte.
Dennoch ist es ihm gelungen, während seiner Mandate einige Projekte durchzuführen und das ausschließlich mit eigenen Mitteln ohne Aufnahme von Krediten (ohne Schulden zu machen). Dazu gehörte die Steigerung der Kapazität des Wasserwerks in Kuschma, die Modernisierung des Schlachthofes und seine Ausstattung mit einer Kühlanlage (Konservierung des Fleisches und Herstellung von Eis), die Pflasterung der Bahngasse, die Erweiterung der Promenade und der Bau eines Musikpavillons, der Bau einer Schule im Stadtviertel „Jenseits der Budaker Brücke“, der Bau eines Sportplatzes nebst Vereinshaus im Stadtpark. Zudem wurde während seiner Amtszeit im Jahr 1927 der erste Rettungsdienst der Stadt Bistritz ins Leben gerufen. Er verfügte über das erste Rettungsfahrzeug in Bistritz und war Teil der Bistritzer Freiwilligen Feuerwehr. Geleitet wurde der Rettungsdienst von Dr. med. Geisa Jonasch, einem an der Universität Wien ausgebildeten Mediziner.
Außerdem gelang es der Stadt Bistritz während der Mandate Karl Sanchens auch noch einen Teil der Schulden aus der Zeit vor 1918 zu tilgen.
Für seine besonderen Verdienste wurde Karl Sanchen von König Ferdinand I. mit dem Orden der Krone Rumäniens (Coroana Romȃniei) im Range eines Ritters ausgezeichnet.

Karl Sanchen fühlte sich als Bürgermeister aller Bistritzer nicht nur der Siebenbürger Sachsen. Bei der Bürgermeisterwahl vom 16. März 1930 trat er mit einer mit einer Mannschaft von 26 Stadträten an (10 Siebenbürger Sachsen, 10 Rumänen, 3 Ungarn, 3 Juden). Von den rumänischen Stadträten, die auf der Liste Sanchens antraten, seien erwähnt: Dr. Leon Scridon sen., Dr. Leon Bȃrsan, Dr. M. Mihailaș, Professor Macedon Linul, Pfarrer (gr.-kath.) Vasile Tӑtar, Ingenieur Gheorghe Avram, Direktor der REGNA, Dr. Simion Sbȃrcea, königl. Notär.

 Sein Gegenkandidat, Dr. Victor Pahone, trat mit einer Mannschaft von ausschließlich rumänischen Stadträten an.
Das Ergebnis der Wahl war folgendes: Karl Sanchen 89,88% der Stimmen (2.612 Stimmen), Dr. Pahone 8,8 % (244 Stimmen) der Stimmen. Die Wahlbeteiligung betrug 68,9% (4.192 Wahlberechtigte, 2.905 Wähler). 50 Stimmen waren ungültig.
Dieses Wahlergebnis verdeutlicht, dass nicht nur die nationalen Minderheiten unter den Wählern Karl Sanchen zum Bürgermeister wählten, sondern auch die weit überwiegende Mehrheit der Bistritzer Rumänen.
Die nationalistischen Kreise, denen es ein Dorn im Auge war, dass Bistritz 1934, die letzte siebenbürgisch-sächsische Stadt war, die noch einen sächsischen Bürgermeister hatte, waren nicht bereit, das Ergebnis demokratischer Wahlen zu respektieren. Um eine weitere Wahl Karl Sanchens zum Bürgermeister zu verhindern, wurde vom Präfekt des Kreises Bistritz-Nassod, Dumitru Nacu, eine sogenannte Interimskommission (Comisie interimarӑ) eingesetzt (sie bestand aus 9 Mitgliedern der National-Liberalen Partei), die den demokratisch gewählten Bürgermeister Karl Sanchen am 31. Mai 1934 für abgesetzt erklärte und Dr. Corneliu Mureșan zum Bürgermeister von Bistritz ernannte. Die erste Amtshandlung des neuen Bürgermeisters war die Entlassung von 22 siebenbürgisch-sächsischen Bediensteten der Stadt Bistritz.
Offiziell warf man Karl Sanchen vor, er habe der Stadt Bistritz einen Schaden von 10.000.000 Lei verursacht. In Wahrheit wurden er und die Bediensteten nur deswegen aus ihren Ämtern entfernt, weil sie Siebenbürger Sachsen waren.
Dies wurde am 22.01.1936 im Bukarester Parlament bestätigt, als der Staatssekretär im Innenministerium, Dumitru Iuga, auf eine Anfrage des Bistritzer Abgeordneten der National Christlichen Partei, Dr. Leon Scridon, weshalb in Bistritz keine Kommunalwahlen mehr anberaumt werden, folgende Aussage machte: „In Bistritz werden wir auch in den nächsten 20 Jahren die Ergebnisse keiner Lokalwahl akzeptieren, sondern immer Interimskommissionen einsetzten, aus Gründen die ich nicht öffentlich nennen kann, die Sie als guter Rumäne schon verstehen werden.“ ( MO, DAD, nr. 22, 22.1.1936, S. 881). Ein Kommentar dazu erübrigt sich.
Karl Sanchen hat seine Entlassung nicht verkraftet. Die Ungerechtigkeit, nach 30 Jahren im Dienst der Stadt Bistritz (davon 15 als Bürgermeister) auf solch schändliche Art und Weise aus dem Amt gejagt zu werden, hat seine Gesundheit schwer erschüttert. Wenige Monate nach seiner Entlassung verstarb er am 15. Oktober 1934 an den Folgen eines Schlaganfalls im Alter von nur 60 Jahren.

  

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Abbildung 2 Grabstein auf dem Bistritzer evangelischen Friedhof
Abbildung 2 Grabstein auf dem Bistritzer evangelischen Friedhof
 
Abbildung 3 Historiker Günter Klein Gedenkansprache in Bistritz
Abbildung 3 Historiker Günter Klein Gedenkansprache in Bistritz
Abbildung 4 Kranzniederlegung v.l. Stellvertretender Bürgermeister  Sorin Hangan und HOG Vorsitzender Dr. Hans Georg Franchy
Abbildung 4 Kranzniederlegung v.l. Stellvertretender Bürgermeister Sorin Hangan und HOG Vorsitzender Dr. Hans Georg Franchy