wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-01Wenn einer eine Reise tut, so kann er was erzählen.

Walter Klemm berichtet über seine Fahrt durch Siebenbürgen vom 14. bis 24. September 2010.

 

Die Anreise

Im Frühjahr 2010 fragte meine Schwester Ilse Philippi aus Hermannstadt an, ob ich Interesse hätte, an einer Gemeinschaftsfahrt per PKW mit Verwandten und Bekannten aus Deutschland zum Bistritzer Sachsen-Treffen vom 17. bis 19. September 2010, teilzunehmen. Meine Antwort lautete, in Siebenbürgen Teilnahme ja, aber An- und Rückreise bequem aus meinem Wohnort Geretsried mit Zubringerbus und dann in einen Fernreisebus der rumänischen Firma Atlassib Srl. einzusteigen. Ich sollte es nach 26 Stunden Fahrt im vollen Bus bereuen, unausgeschlafen am folgenden Tag nachmittags in Hermannstadt anzukommen.

 

Laut telefonischer Buchung mit Platzreservierung sollte die Abfahrt „gegen 13.30 Uhr“ vom Karl-Lederer-Platz in Geretsried erfolgen. Der Zubringerbus traf pünktlich ein, jedoch die Abfahrt sei erst um 15.00 Uhr sagte man mir und bat mich, den offenen Bus zu bewachen, derweil Busfahrer und Bürofräulein ins nahe Cafe zum Mittagessen verschwanden.

 

Gegen 14.00 Uhr kamen immer mehr Paketabsender mit großen und kleinen Paketen zum Bus, um für 1 Euro pro Kilo ihren Angehörigen rumänienweit deutsche Waren mitzuschicken. Da war vom fabrikneuen Elektrofahrrad nach Jassy, über viele meist über 10 kg schwere Pakete bis zu den übergroßen türkischen Kunststofftaschen, bald soviel zum Abwiegen und Bezahlen, dass der Bus halb voll wurde und nur 3 Personen zu befördern hatte.

 

Weil bis zu der Ankunft des Fernreisebusses aus Karlruhe auf dem Busbahnhof München Fröttmaning noch fast 3 Stunden Wartezeit waren, setzte man uns in München in der Atlassib-Filiale ab, während unser Zubringerbus mit weiteren Paketen voll beladen wurde. Jeder dieser modernen Reisebusse mit 3 - 4 Fahrern hat jeweils einen großen, leistungsfähigen Anhänger für den umfangreichen Postbetrieb im Schlepptau. Diese Busse fahren in Europa kreuz und quer und befördern zumeist die Gastarbeiter von ganz Rumänien bis in entlegenste Länder und Ziele.

 

Als wir in Fröttmaning nach 18.00 Uhr den Fernreisebus bestiegen, war kaum noch Platz, weil die früher zugestiegenen Leute bereits ihre Nebenplätze zum Schlafen besetzt hatten. Etwa ein Drittel der Reisenden waren junge Zigeuner, zwei Drittel rumänische Gastarbeiter mittleren Alters und zahlreiche Studenten. Ich war wohl der älteste Mitreisende.

 

Die Nachtfahrt durch Österreich wurde an einem Autobahn-Rastplatz zum Erlebnis. Es gab etwa um Mitternacht eine kurze Verschnaufpause, in der ich mir die Füße abseits vom Bus vertrat. Spät bemerkte ich eine rundum stehende Gruppe unserer Reisenden, in deren Mitte ein erhöhter Holzhocker stand und darauf runde Spielkarten lagen.

 

Es wurde das Glücksspiel Schwarz und Weiß von einer 6-köpfigen rumänischen Betrügerbande gespielt und die Opfer aus den Reihen der mit Geld heimkehrenden Gastarbeiter innerhalb weniger Minuten um bis zu 450 Euro je Mitspieler geprellt. Dabei mischten sich 5 Männer, als Animateure und mitspielende Bandenmitglieder unter die Reisenden und lockten die Opfer zum Spiel, das etwa 20 Minuten dauerte.

 

Mein Sitznachbar, ein sympathischer Student der Zootechnik von der Landwirtschafts-Universität Klausenburg, der von einem 2½ monatigen Praktikum auf einem Bauernhof bei Ulm, heimkehrte, äußerte den Verdacht, dass womöglich unsere Busfahrer mit der Bande Absprachen getroffen hatten, weil auch ein Bus vor uns und einer nach uns mit rückkehrenden Gastarbeitern kurze Pausen einlegte und die Bande aus dem Dunkel der Nacht heraus operierte. Der junge Mann neben mir war sehr begeistert von dem erlebten Praktikum und kehrte fest entschlossen heim, sein Studium so schnell wie möglich in Klausenburg zu beenden und in Deutschland weiter zu studieren, wohl nach einigen Intensiv-Sprach-Kursen.


In Rumänien im Morgengrauen angelangt, ging es über Arad ins Banat nach Temeswar und Lugosch in großer Schleife mit dem Abladen von zahlreichen Paketen von Ort zu Ort. Allein in Lugosch zählte ich 9 große Fernreisebusse jeweils mit Großanhänger am Busbahnhof. Als wir auf schlechten Straßen von Lugosch nach Ilia und Deva fuhren, begegneten wir weiteren 10 Atlassib-Fernreisebussen, alle nach Westeuropa strebend.

 

Einen etwas deprimierenden Eindruck machten die vernachlässigten Felder den Straßen entlang, entweder ganz brachliegend oder mit der Monokultur Futtermais bestellt, meist auf schmalen kleinen Ackerflächen angebaut. Es gäbe zu wenige Erntemaschinen für den Getreideanbau erklärte mein Sitznachbar und machte das zerstückelte private Ackerland für das Fehlen von Traktoren verantwortlich.

 

Ich sollte später auf der Fahrt quer durch Siebenbürgen wenige Weingärten aus dem Bus sehen und nur eine neue großangelegte moderne Obstplantage zwischen Reußmarkt und Großpold entdecken ...


In Hermannstadt empfing mich Tochter Erika herzlich und bot mir für eine Nacht Quartier. Sie nahm sich vor meiner Rückreise Zeit, mit mir bei gutem Wetter nach Michelsberg zu fahren und lud mich dort im „Apfelhaus“ inmitten der ehemaligen Obstgärten zu einem Mittagessen ein.

 

Auf dem Weg zum Halben Stein mussten wir umdrehen, weil der Morast der letzten Regentage zu groß war. Am Abend war ich, wie bei jedem Besuch, in Neppendorf bei unseren Freunden Horst und Gertrud Stolz, die abwechselnd ihre vier Kinder und die Enkelkinder aus Deutschland zu Besuch empfangen und guter Laune sind. Per Taxi durch die neu renovierte Hauptstraße von Neppendorf kommt man schnell und ganz billig zum Ziel, diesmal zu Erika.

 

Donnerstag, 16. September 2010
Am folgenden Tag, einem Donnerstag, traf sich unsere Reisegruppe mit meiner Schwester Ilse, unsere Cousine zweiten Grades, Christl Preu aus Altdorf bei Nürnberg, deren Bruder Peter Scholtes aus Burglengenfeld (bei Regensburg) und zwei Freundinnen unserer Verwandten, nämlich Elisabeth Nader, ehemalige FH-Hochschullehrerin aus Heidelberg und Rosemarie Weisfeld, Ärztin aus Fulda, beide mit siebenbürgisch-sächsischen Wurzeln und auch da geboren.


Zu sechst fuhren wir in zwei PKWs zunächst nach Mediasch. Nach der Innenbesichtigung der beeindruckenden Kirche und des Pfarrgartens ging es weiter nach Birthälm. Dort war am Fuße der imposanten Kirchenburg ein reger Touristenverkehr mit Scharen von Busreisenden zugange.

 

Oben, vor der Kirche wartete in der Mittagspause eine Gruppe von Studenten der Fachhochschule für Restauration und Denkmalschutz aus Hildesheim, welche derzeit die alten und wertvollen Chorgestühle in Südsiebenbürgen dokumentieren und wissenschaftlich untersuchen. Da seien wertvolle Kirchen-Chorstühle aufzunehmen, erläuterte Diplom-Restaurator Ralf Buchholz, der Fachbetreuer. Nach Abschluss der Bestandsaufnahmen und Renovierungsarbeiten der einzigartigen Hendorfer Stollentruhen ist dieses Folgeprojekt ein weiteres Betätigungsfeld der Fachhochschule Hildesheim, bzw. der Fakultät Erhaltung von Kulturgut.


In Schäßburg bezogen wir in der Hüllgasse bei Familie Fabini Privatquartier und wanderten zum sehenswerten Bergfriedhof mit Rundgang über die Burg zurück. Unwillkürlich kamen dabei Erinnerungen bei mir hoch. 1961 hatte ich ein Jahr mit Arbeit und Verdienst in Schäßburg gelebt, beim Bautrust Nr. 5 gearbeitet und in der gleichen Hüllgasse bei Familie Engber gewohnt.

 

Freitag, 17. September 2010
Am Freitag setzten wir die Fahrt nach Sächsisch Reen fort und kehrten bei dem evangelischen Pfarrer Zey auf dessen Pfarrhof ein, wo er seit 3 Monaten amtiert. Schnell erledigte Christl Preu eine Hilfsaktion für Bedürftige in Reen. Während unseres Stadtrundganges war „Seine Hochwürden“, der Bischof D. Dr. Chistoph Klein begleitet von Herrn Gunesch, dem Hauptanwalt des Landeskonsistoriums, sowie von meinem Schwager Friedrich Philippi als Landeskirchenkurator, bei dem Amtsbruder, Pfarrer Johann Zey, einem gebürtigen Urweger, auf dem Weg nach Bistritz, eingetroffen.

 

Auch wir setzten unsere Reise nach Bistritz fort, durch ehemals stattliche Gemeinden, wie Tekendorf, Dürrbach, Mönchsdorf und das eingemeindete, nicht wieder zu erkennende Heidendorf - als Vorort von Bistritz mit vielen mittelständischen Firmen besiedelt.

 

Die einstmals stolze Winzergemeinde mit ihrem berühmten Steiniger Wein war das Heimatdorf meiner Mutter als Junglehrerin und meinem Großvater Georg Keintzel als Pfarrer und Mitbegründer der Nösner Germanistenschule. Von den früher ausgedehnten Weinbergen ist keine Spur mehr zu sehen.


Nachdem wir im neu eröffneten, sehr guten „Hotel Krone“ für 3 Übernachtungen durch Ilse vorgebucht hatten, trafen wir mit den Bus-Gästen aus Vöcklabruck und aus Augsburg im gleichen Hotel zusammen. Am Freitagnachmittag fand die Jubiläumsveranstaltung „140 Jahre landwirtschaftliche Schule in Bistritz 1870 – 2010“ statt, zu der ich leider zu spät kam. Neben den ehemaligen Ackerbauschulen Marienburg im Burzenland und Mediasch ist die in Bistritz als einzige bis heute bestehen geblieben.


Ebenfalls am Freitag fand im Bistritzer Kreismuseum eine Vernissage mit Gemälden des Zeichenlehrers Norbert Thomae statt, zu der Museologe Joachim Tätaru vom Siebenbürgischen Museum in Gundelsheim und die Enkelin Antje Neumann aus Leonberg mit ihrem Bruder Wolfgang Rohling, die rund 40 Bilder zu einer beachtlichen Bilderschau zusammen getragen haben.

 

Die gut besuchte Vernissage würdigte durch Vorträge das reiche Künstlerschaffen von Norbert Thomae, der die Schwester Josephine meiner Großmutter Selma Bechtholdt, verheiratete Klemm, in Mühlbach geheiratet hat und mein Taufpate in Bistritz wurde. Hier in dieser schönen und altehrbaren Stadt bin ich Ende 1939 geboren und wohl auch getauft worden, ab 1940 lebte ich in Ungarn, gemäß Wiener Diktat.

 

Der hier ausgestellte Taufschein der evangelischen Kirche sollte später in Hermannstadt den ungarischen Geburtsschein ersetzen, weil die Rumänen ungarische Dokumente um 1955 für meinen Personalsausweis nicht anerkannten. Der erste Abend in Bistritz führte uns bei einsetzendem Regen zur Promenade, wo die Blaskapellen aus Landshut und Traun (Oberösterreich) aufspielten.

 

Samstag, 18. September 2010
Der Samstag war der eigentliche Haupttag des 20. Sachsentreffens der in Siebenbürgen lebenden Landsleute. Der Festgottesdienst in der teilrenovierten Bistritzer Evangelischen Stadtpfarrkirche gestaltete sich zu einem denkwürdigen Ereignis, bei dem, der zum 1.Oktober 2010 aus dem Amt scheidende Bischof D. Dr. Chistoph Klein seine wohl letzte große Predigt vor über Tausend Teilnehmern, Bistritzer sowie hunderter Gäste aus dem In- und Ausland hielt.

 

Der ortsansässige Stadtpfarrer Johann Dieter Krauss eröffnete den Gottesdienst in der vollen Kirche, die laut Aussage von Architekt Dr. Paul Niedermaier im ganzen Sachsenlande die meisten Sitzplätze aufzuweisen hat. Während Friederich als Ehrengast vorne im Kirchengestühl saß, wo wahrscheinlich oft auch unser Großvater, als amtierender Dechant (Dekan) seinen Sitz hatte, fand ich eingezwängt gerade noch eben Platz auf einer Seitenbank.


In der Holzgasse, als der Hauptstrasse, wurden Verkaufsstände der Handarbeitskreise verschiedener Orts- und Zentrumsforen des Forums der Deutschen aus Rumänien, bzw. des Regionalforums Siebenbürgen, welches dieses gelungene Treffen organisiert hatte, aufgestellt.

 

In der Nacht hatte man dort ein riesiges 500 Personenzelt errichtet, welches Samstag abends ebenso viele Gäste zu einem Abschluss-Festessen mit kaltem Buffet beherbergte. Die geladenen Ehrengäste stellten sich auf der Bühne im Halbrund für die Ansprachen auf und es entstand eine herzliche Atmosphäre als z. B. der, um Freundschaft bemühte Bürgermeister Cretu sagte, dass es nun gelte, die von den Sachsen zurückgelassenen Kulturwerke zu schützen und erhalten, wie es durch das Brandunglück der Bistritzer Kirche offenkundig und nötig geworden sei.


Pünktlich zum Festumzug um 14.00 Uhr mit den vielen Trachtengruppen und vier Blaskapellen setzte Dauerregen ein und wir gingen nach einem getrennten Mittagessen zum Kulturhaus im ehemaligen Festsaal des Gewerbevereins. Während die Tanzgruppen sich auf der Bühne in der Fußgängerzone präsentierten, hörten wir den Festvortrag von Gymnasialprofessor Horst Göbbel zum Thema „Bildung ist Zukunft“.

 

Es folgte die Verleihung der Honterusmedaille an Peter Pastior, den Vorsitzenden des Sozialwerks der Siebenbürger Sachsen in Deutschland mit der Laudatio von Dr. Christoph Bergner, Parlamentarischer Staatssekretär, Beauftragter der Bundesrepublik Deutschland für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten.

 

Mit der Verleihung der Ehrenbürgerschaft der Stadt Bistritz an Manfred Dachner, Leitender Polizeidirektor in Neubrandenburg und Dr. Hans Georg Franchy, Vorsitzender der Heimatortsgemeinschaft (HOG) Bistritz-Nösen e.V. endete der offizielle Teil des Sachsentreffens. Nobel war die Bewirtung der vielen Gäste vom Stadtrat Bistritz mit Baumstriezel und Prosecco.


Das folgende sinfonische Konzert mit Mitgliedern der Staatsphilharmonie Klausenburg und zwei guten Opernsolisten war ein würdiges Ende eines gelungenen Kulturtreffens.

 

Sonntag, 19. Sepetmber 2010
Wir nutzten am Sonntagvormittag mit Friedrich die Gelegenheit zu einer Rundfahrt in einige der ehemaligen Nösner Gemeinden., um die in Eichenbalken geschnitzten Sprüche in Bild und Text fest zu halten. Typisch für die großen Einfahrts-Tore an sächsischen Häusern im Nösner Land waren die beidseitig auf Eichenträger aufgesetzten Eichenbalken mit der leichten Dachform aus dicken Eichenstämmen herausgeschlagen.

 

Es war für mich ein besonderes Erlebnis, die Ruinen der ehemaligen Kirche von Windau (rumänisch Ghinda), wo einst die schönste Tracht zu finden war, als Sandsteinhaufen zu sehen. Auch Windau ist ein Vorort von Bistritz geworden. Weiter fuhren wir nach Senndorf (Jelna), wo die Evangelische Kirche ebenfalls als Ruine mit eingestürztem Chorraum ein trauriges Bild ergab, und wo wir einen Jahrmarkt für Pferde und Schweineferkel mit zahlreichen Zigeunern sahen.

 

wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-03wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-06Weiter ging die Fahrt über Burghalle (Orheiu Bistritei) nach Waltersdorf (Dumitrita) sowie nach Petersdorf (Petris) und nach Oberneudorf (Cetate). Von den evangelischen Kirchen des Nösnerlandes mit rund 35 ehemaligen sächsischen Ortschaften, sowie des Reener Ländchens mit 11 Gemeinden, sind über 20 Kirchen an die Griechisch Orthodoxe Kirche abgegeben worden.

 

wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-08In diesen Dörfern suchte und fand Friedrich Sprüche auf Eichenbalken. In Petersdorf, dem Geburtsort meiner Mutter Helga Keintzel, war gerade rumänischer Gottesdienst mit beachtlich gutem Besuch.

 

wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-07Dort, aber auch später in Tschippendorf (Cepari) sind die ehemals sächsischen Heldengedenksteine mitten in Blumenbeeten im Gemeindezentrum, erweitert worden mit den Namen rumänischer Gefallener der beiden Weltkriege.


wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-04Nach einem gemeinsamen Mittagessen starteten wir in zwei PKWs bei düsterem Wetter zu einem Besuch der Gemeinden Mettersdorf (Dumitra) mit dem mächtigen Speckturm von 1488 erbaut, von Tschippendorf und schließlich nach Treppen (Tärpiu) mit der gotischen Kirche, wo unsere mitreisende Elisabeth Nader (Lisi) ihre Kindheit verbracht hatte, weil der Vater dort als Predigerlehrer wirkte.

 

In Mettersdorf umkreisten uns viele Zigeunerkinder und bettelten erfolgreich um Geld und Süßigkeiten. Eine tüchtige Hausfrau verkaufte uns im Handumdrehen zwei dicke rosa schimmernde beste Speckseitenstücke und Urda sowie herrliche Tomaten, die uns zum ad hoc-Abendessen im Gästezimmer des Stadtpfarramtes Bistritz, bei Horst und Anita Scholtes, aus der Schweiz angereiste Verwandte, am Sonntag besonders gut schmecken sollten.


wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-05wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-02Der sympathische junge rumänische Dorfpope von Tschippendorf ließ uns bereitwillig in die gepflegte, ehemals deutsche Kirche eintreten und nur die Männer hinter den „Iconostaz“, den Altar treten, um den noch vorhandenen alten Altar zusehen. Er hat die Bergung und Verlegung der Grabsteine des deutschen Friedhofs auf den geschützten Kirchenvorplatz veranlasst.


wir-noesner-siebenbuergen-reisebericht-1009-04In Treppen wurden wir zur Besichtigung des weitläufigen Pfarrhauses und der Kirche eingeladen. Auch die orthodoxe Kirche kämpft vor Ort mit Mitgliederschwund und Finanzproblemen, wurde uns erzählt. Immerhin begegneten uns dort zwei große heimkehrende Kuhherden mit etwa 80 Kühen, ein Zeichen von Wohlstand. Viele der alten Bauernhäuser sind abgerissen und durch neue, darunter auch unfertige Zigeunerpaläste, ersetzt worden.

 

Montag, 20. September 2010
Der Montag war der Aufbruchstag für uns und die Landsleute aus Deutschland und Österreich.


Der Vormittag galt der 100 Jahr-Feier des Bistritzer Knabengymnasiums an der Fleischerallee, heute „Colegiul National Liviu Rebreanu“ mit dem Festvortrag von Horst Göbbel als ehemaligem Schüler aus Jaad (Livezile) stammend und späterem Professor für Geschichte bis zu seiner Umsiedlung.

 

In dieser ehrwürdigen Schule hat mein Vater Werner Klemm als Biologielehrer von 1935 bis 1936 gewirkt. Es gab Ehrenurkunden der Schule für verdiente Persönlichkeiten, wie der Historiker Dr. Michael Kroner, 1958 - 1968 stellvertretender Direktor dieser Schule, Dr. Hans Georg Franchy (Drabenderhöhe) und der Historiker Günter Klein, Freiburg, als ehemalige Schüler.

 

Letzterer hat einen sehr kompetenten, interessanten und inhaltsreichen Beitrag über die Geschichte des Evangelischen AB Gymnasiums von Bistritz in rumänischer Sprache im Mitteilungsblatt des dortigen Ratshauses vom 8. August 2010 in guter Übersetzung veröffentlicht und damit eine breite Bevölkerung erreicht und geschichtlich aufgeklärt. Historische Bilder dazu belegen die Bedeutung der altehrwürdigen und traditionsreichen Schule, die als imposantes Gebäude ab 1910 im ganzen Sachsenlande Vorbild war.

 

Ein letzter Treff unserer Reisegruppe Montag Mittag in einer „Kondi“, wo wir vergeblich Doboschtorte suchten, galt dem Abschied. Ilse, Friedrich und ich fuhren nach Hermannstadt, nicht ohne in Dürrbach (Dipsa) und Großeidau (Viile Tecii) bei Tekendorf, letzte Sprüche erfolgreich zu suchen und zu finden.

 

Dienstag, 21. Sepetmber 2010 bis Donnerstag, 23. September 2010

Unsere Verwandten Christl Preu, ihr Bruder Peter Scholtes und ihre Freundin Lisi Nader brachen zu den Nordmoldauklöstern und zum Lachenden Friedhof auf. In Hermannstadt gab es als Gast bei meiner Schwester erholsame Tage mit guten Gesprächen und viel Austausch. Währenddessen hatte die Tochter Erika zwei Kanadier als Schlafgäste, um die sie sich nach ihren zwei Gegenbesuchen zu kümmern hatte. Mit Ilse konnten wir den Friedhof besuchen und die neuen Beschriftungen an unserem Familiengrab ansehen.

 

Die Zeit reichte auch für zwei Besuche unserer Verwandten, Putti alias Anneliese Bonfert, die nun andauernd bettlägerig ist und die ihr wertvolles Haus gegen Pflege bis zum Lebensende einer rumänischen Nachbarin übergeben hat, statt weiter im geordneten Dr. Carl Wolf Altenpflegeheim zu bleiben. Ein weiteres Unikum ist die 91 ½ Jahre alte, alleinlebende Tunzi Schuller, die Schwester unseres Biologielehrers Richard Schuller (Schucki) in der Mühlgasse und ist wie eh und jeh rege. Sie kauft sich noch selber ein und hat, wie sie sagte keine direkte Diakoniehilfe oder gar Essen auf Rädern. Sie sei für einen Deutschlandbesuch nicht fit, freut sich aber über Besuch in ihrer dunklen, fast fensterlosen Wohnung, wo die Zeit stehen geblieben ist.


Den obligaten Marktbesuch mit Käse-Obst- und Gemüseeinkauf erledigten wir mit Ilse. Ich entschied mich für 2 kg Kasch, den ich in Würfeln mit dem Fleischwolf zu geriebenem Rohkäse verarbeitete und in Kunststoffgefäßen verpackt für meine Freunde brachte.

 

Den echten Burduf gibt es nicht mehr, oder nur rar, weil heutzutage der Schafkäse mit Kuhkäse gestreckt wird und damit ein neues, rosafarbenes Aussehen hat. Auch ist es nicht mehr die gewohnte Gebirgslage und Würze, weil die Schafe überwiegend unten, neben den Hauptstrassen auf den Brachflächen weiden und das saftige Gebirgsgras verloren geht, weil Buschlandschaften schnell die Wiesen überwuchern.

 

Es gab sehr gute und süße Trauben, keine einheimischen Pfirsiche, sondern nur italienische ohne viel Geschmack. Ilse kaufte Gemüse zum Passieren für einen Bullion in Flaschen für den Winter. Auch gibt es die gewohnten schmackhaften Tomaten (Paradeis) nicht mehr, sondern nur noch veränderte, für den Transport fest bleibende Sorten. Letzte Heidelbeeren und Preiselbeeren gab es zu kaufen. Wie früher auch, streifen Zigeunergruppen über den Markt und beherrschen derzeit den Blumenverkauf.

 

Das Parkplatzproblem hat in der Innenstadt von Hermannstadt zu fast zugeparkten Strassen geführt. Überall parken die Autos schräg und lassen kaum die nötige Fahrrinne frei.

 

Am letzten Abend vor der Rückfahrt, diesmal gebucht bei dem Busunternehmen Double T, begleitete ich Ilse und Friedrich zu ihrer  Bach-Chorprobe im Spiegelsaal des Deutschen Forums am Großen Ring und hatte meinen Spaß an teilweise mir bekannten Chorälen und Chorstücken.

 

Der große Nussbaum bei Ilse lud zum Ernten am Boden ein und erste Herbstwinde schüttelten die Peddernüsse zu Hauf. Friedrich ist noch mit vier Wochenstunden am Gymnasium beteiligt und leistet viel ehrenamtliche Arbeit im Schul- und Kirchenamt vor allem als Landeskirchenkurator. Am 27. November 2010 soll vormittags der neue Bischof und nachmittags die übrigen Würdenträger, darunter eben auch Friedrich gewählt werden. Ab 1.Oktober wird der Alt- Bischof vom Bischofsvikar Pfarrer Guib aus Mediasch und von Friedrich als Weltlichem vertreten.


Mit Erika konnten wir in der Hechtgasse einen Blick in das alte Hochmeisterhaus werfen, weil der Besitzer Agrar-Ingenieur Moga ausnahmsweise zu Hause war. Wir kamen ihm ungelegen, weil er die Handwerker im Hause hatte und seine Sachen ungeordnet auf der Veranda gelagert waren. Auch unser Familienhaus in der Vasile Aleksandri Gasse (Parallel zur Jungewaldstrasse) besahen wir von außen. Es ist unbewohnt und der große Garten ungepflegt.

 

Freitag, 24. September 2010
Am Freitagvormittag holte mich Erika mit dem Auto ab und brachte mich zum Busbahnhof am Parkhotel beim Erlenpark. Der Unterschied zur Atlassib-Busgesellschaft ist groß und eine Buchung empfehlenswert. Für 70 Euro kommt man mit drei Busfahrern zwar auch über das Banat mit Lugosch und Temeswar als große zeitaufwendige Schleife, aber es gab Platz, nachts gekauert zu schlafen, weil der Nebensitz frei war. In der Abenddämmerung näherten wir uns von Temeswar kommend der Grenze zu Ungarn bei Tschanad. Da hieß es, 2 Euro bereithalten für eine zügige Abfertigung auf der Gegenseite. Leider konnte ich die Geldübergabe nicht sehen.


Kurz vor der Grenze brachte der Rumänische Radiosender unter Aktualitäten im fahrenden Bus, eine 20 minütige Sendung mit dem Interview von Dr. Hans Georg Franchy über das Sachsentreffen in Bistritz in gut gewählten Worten über das Schicksal der Siebenbürger Sachsen.


Weil ich in einem, in die Schweiz nach Zürich, Bern und Lausanne fahrenden Bus saß, mussten wir vor Rosenheim an der Samer Berg-Raststätte umsteigen in einen Zubringerbus, der uns wohlbehalten am Hauptbahnhof in München ablud. Es war im Morgendämmern, als ich auf die erste S-Bahn nach Wolfratshausen zwei Stunden wartete und mich wunderte, wie wenig in der vollen Oktoberfestzeit am Bahnhof zu sehen und hören war.

 

Es war eine schöne und erlebnisreiche Zeit von randvollen 10 Tagen mit Sonne und Regen und dem Wachwerden vieler Erinnerungen. Künftig sollte man in unserem Alter doch lieber die Flugvariante statt der beschwerlichen Busreise wählen, sofern man die Karten langfristig buchen kann. Dem Land im Umbruch, unserem Heimatland dort, wünschen wir Aufbruch und Bewältigung der anstehenden Anpassungen an die verbindlichen EU-Normen.


Klemm-WalterAutor: Walter Georg Klemm

Walter Georg Klemm wurde am 27. Dezember 1939 in Bistritz als Sohn des Biologielehrers Prof. Werner Klemm und Helga, geborene Keintzel, Lehrerin, geboren. Nach dem Umzug der Familie 1942 nach Hermannstadt, wo der Vater als Pädagoge wirkt, wächst Walter wohlbehütet im Elternhaus zusammen mit den Geschwistern Werner, Helga und Ilse auf, besucht die Volksschule und das Brukenthal-Lyzeum, wo er 1956 die Matura ablegt.

 

Nach sieben Jahren beruflicher Tätigkeit als Elektromechaniker immatrikuliert er an der Universität Klausenburg mit Abschluss zum Diplom-Ökonom (Betriebswirtschaft). Dem wirtschaftlich-sozialen Niedergang des Landes seiner Herkunft in den 70er Jahren begegnet er mit der Ausreise im März 1977 – zwei Tage nach dem verheerenden Erdbeben in Bukarest, welches er dort unversehrt miterlebt. Die Familie findet in Villingen/ Schwarzwald Arbeit und ein Zuhause, wobei die im Herkunftsland erworbenen Kenntnisse Walter Klemm den Start im EDV-Bereich wesentlich erleichtern.

 

Walter Klemm ist vielen Siebenbürgern durch seine vielseitige landsmannschaftliche Tätigkeit bekannt. 2001 erhält er als Anerkennung seiner Verdienste das Goldene Ehrenwappen der Landsmannschaft der Siebenbürger Sachsen. 2007 wird er mit der Medaille „Pro Meritis“ gewürdigt. Walter Klemm ist Mitglied im Arbeitskreis für Siebenbürgische Landeskunde und arbeitet auch in der „Arbeitsgemeinschaft zur Spurensicherung“ bei der Erstellung des „Schriftsteller-Lexikon der Siebenbürger Deutschen“ und am „Lexikon der Siebenbürger Sachsen“ mit.


Zu seinen Hobbys zählen Reisen, nicht nur in seine alte Heimat, um Land und Leute kennen zu lernen, und der aktive Vogelschutz. Seine Erlebnisse anlässlich seines letzten Besuches in Siebenbürgen, im September 2010, hat Walter Klemm natürlich auch dokumentiert.

 

Bildmaterial & Fotos: Friedrich Philippi