Wenn am 24. August 2013 450 Jahre seit der Wiedereinweihung nach den Umbauarbeiten an der Bistritzer Stadtpfarrkirche gefeiert werden, schauen wir gleichzeitig auf 450 Jahre und mehr seit der Reformation in Siebenbürgen und in Bistritz zurück. Die Siebenbürger Sachsen übernahmen nach 1543 geschlossen das reformatorische Gedankengut Martin Luthers und Johannes Honterus´ und wurden evangelisch. Was sich im Inneren vollzog, wurde auch äußerlich sichtbar gemacht. Die Bistritzer Sachsen reformierten im Zuge der Reformation auch ihre Kirche. Aus der alten baufälligen romanischen Nikolauskirche wurde eine gotische Hallenkirche mit sehenswürdigen Renaissance-Elementen. So wurde Bistritz ein Vorzeigemotiv für die Renaissance in Siebenbürgen und später in Rumänien. Die hohe Ästhetik der Renaissance wurde bei den großen Renovierungsarbeiten in den Jahren 1559 bis 1563 an der Kirche sichtbar. Der Architekt Petrus Italus aus Lemberg (Lugano) hat den vorhandenen gotischen Stil mit dem Renaissancestil herausragend verbunden und der Kirche ein Aussehen gegeben, das für Siebenbürgen einzigartig ist. Die Westfassade mit ihrem hochwertigen Portal mit Säulen sowie die Westportale der Seitenfassaden mit ihren Pfeilern, stellen eine Augenweide dar. Sie sind Zeugen eines goldenen Jahrhunderts der Stadt. Auch war die Stadt im 16. Jh. mit ihren 560 Wirten, 138 Sedlern, 5 Armen, 3 Müller und einen Hirten ca. 3400 Einwohner stark und zählte mit den Vorstädten sogar 4.500 Seelen. Gut drei Viertel waren evangelische Sachsen und wohnten in der Stadt, wobei die Rumänen und Zigeuner die Vorstädte bevölkerten. Nach Hermannstadt, Kronstadt und Klausenburg war Bistritz im 16. Jh. die viertgrößte Stadt Siebenbürgens. Die Stadt blühte, die Kirche wurde imposanter, die Gemeinde nahm an Kraft und Wohlstand zu.

Die schweren Zeiten des 13. Jahrhunderts, wo Bistritz und das Nösner Land zweimal von einem Mongolensturm heimgesucht wurde, gerieten in Vergessenheit. Ende des 13. Jahrhunderts war Bistritz sogar zum Distriktvorort geworden. Im 14. Jahrhundert wurde es von jeder fremden Gerichtsbarkeit befreit und damit unabhängig in Rechts- und Gerichtsangelegenheiten. So näherten sich die Bistritzer Rechte derer, die die südsiebenbürgischen Siedlungen durch den Goldenen Freibrief Andreas II. schon seit Anfang des 13. Jahrhunderts hatten. 1353 wurde der Stadt das Jahrmarktsrecht am Bartholomäustag, dem 24. August, verliehen. Erst 1366 stellte König Ludwig I. in seinem Freibrief die Stadt und das Nösnerland den Gemeinden auf Königsboden gleich. Zum ersten Mal wird da die politisch-rechtliche Verbindung mit den anderen deutschen Siedlungsgebieten angesprochen. Daraus sollte sich im 16 Jh. die Einheit des Sachsenlandes und der Evangelischen Kirche bilden. 1547 wurde auch in Bistritz und im Nösnerland die von Johannes Honterus herausgegebene „Kirchenordnung aller Deutschen in Siebenbürgen“ angenommen. 1572 übernahm die evangelische Synode das Augsburger Bekenntnis an. Die Reformation belebte das geistliche, geistige und soziale Leben der Sachsen. Die kirchlichen Bruderschaften bekamen neue Aufgaben. Für die Armen wurde Sorge getragen. Auch wurden die Schulen neu organisiert. Die Stadtbefestigung wurde ausgebaut.

 

Die nachfolgenden Jahrhunderte waren eine leidgeprüfte Zeit, die die Stadtmauern und den Glauben an „die feste Burg, unsern Gott“ auf harte Proben stellten. 1602 belagerte der kaiserliche General Basta die Stadt. Zerstörung, Hungersnot und Pest folgten. Die Bevölkerung von Bistritz und des Nösnerlandes wurde dezimiert. Auch die Tatareneinfälle die bis 1717 wiederkehrten trugen dazu bei. Die Jahre 1836 - 1857 waren geprägt durch etliche Stadtbrände, die mehr Häuser in Asche legten als die Innenstadt besaß. Der größte Brand war der im Jahre 1857, der 214 Häuser, das Rathausdach sowie das Kirchturmdach und eine Glocke vernichtete. Die sächsische evangelische Gemeinde holte aus dem Glauben aber immer wieder die Kraft aufzustehen und aufzubauen.

Das 20. Jahrhundert wurde für Siebenbürgen und insbesondere für Bistritz und das Nösnerland zum Jahrhundert der politischen und wirtschaftlichen Veränderungen und Massenmigrationen. Der Wechsel von dem österreichisch-ungarischen Reich in das ungarische und ab 1918 nach Rumänien und die Umwälzungen in der Zeit des 2. Weltkrieges, wo 1940 Nordsiebenbürgen durch den Wiener Schiedsspruch wieder nach Ungarn gehörte und durch die Kriegserklärung Rumäniens am 23. August 1944 an Deutschland seinen bisherigen Verbündeten hat die Existenz der Deutschen infrage gestellt. Das führte dazu, dass die Sachsen aus Nordsiebenbürgen und einigen Dörfern Mittelsiebenbürgens vom 6.-19. September evakuiert wurden. Das hat große Einschnitte ins kirchliche und gesellschaftliche Leben gebracht. Auf dem Hintergrund der schlechten wirtschaftlichen Situation waren schon um die Jahrhundertwende Hunderte von Sachsen nach Nordamerika ausgewandert.

Geschah es damals noch freiwillig, wurde es 1944 zu einem Muss. Hals über Kopf, nur mit dem Allernötigsten auf dem Wagen, flohen die Sachsen aus Bistritz und Umgebung nach Österreich und Deutschland. Im Nösnerland blieben nur einzelne und in Bistritz nur noch rund ein Viertel, etwa 1.700 evangelische Sachsen zurück. Der ehemalige ansehnliche Bistritzer Kirchenbezirk mit seinen 34 Gemeinden im Nösnerland wurde aufgelöst und die kleinen Diasporagemeinden und Bistritz an den Schäßburger Kirchenbezirk angeschlossen. Durch die Nachkriegsdeportation, Enteignung und Entrechtung der sächsischen Evangelischen, - sprich Deutschen -, einerseits und die kommunistische Einengung und Versorgungskrise andererseits, waren die Grundlagen für eine weitere Auswanderungswelle gelegt. Die kam dann in den siebziger und achtziger Jahren und wurde auch durch den Abkauf der Sachsen durch die Bundesrepublik Deutschland ermöglicht. Die Gemeinde schrumpfte infolgedessen bis auf 400 Seelen. Mit dem Fall Ceausescus im Dezember 1989 setzte eine weitere Migrationswelle ein, so dass die Gemeinde heute 271 Seelen zählt und damit die zehntgrößte Gemeinde der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien ist. In den Jahrzehnten seit der Wende 1989 sind die Gemeindeglieder genötigt, Mischehen zu schließen, so dass die evangelische Gemeinde heute nicht mehr eine ausschließlich sächsische Gemeinde ist, sondern immer mehr zu einer offenen Gemeinde wird.

Die Voraussetzungen dafür wurden schon 1557 auf dem Landtag zu Thorenburg (Turda) geschaffen, wo die religiöse Toleranz beschlossen wurde, die bis heute in Rumänien gilt. Aus Toleranz wuchs in Bistritz im Laufe der Jahrhunderte ein Nebeneinander in Frieden, ein Miteinander im Glauben und ein Füreinander in Not. Das bezeugt so manches aus der Vergangenheit: Die Minoritenkirche wurde nicht wie andere Klosterkirchen abgetragen, sondern für die römisch-katholische, spätere griechisch-katholische und heute orthodoxe Gemeinde als Kirche bewahrt. Bistritz hatte schon 1388 eine Schule. Mit der Reformation wurde auch ein Gymnasium gegründet, das baulich bis heute das größte in Siebenbürgen ist und dem zeitweise auch ein Volksschullehrerseminar angeschlossen war. Für das gute Miteinander der ethnischen, sprachlichen, konfessionellen Völkergruppen und Kulturen in der Stadt sprechen auch die vielen nichtdeutschen Absolventen an diesem Gymansium. Auch gab es in Bistritz bis 1944 eine Mädchen- und Knabenschule, eine Ackerbauschule und eine Gewerbeschule, alle in deutscher Sprache. Bis 1944 konnten auch die 24 siebenbürgisch-sächsischen Vereine ihren Aktivitäten in gesellschaftlicher, kultureller und sportlicher Hinsicht nachgehen. Nach 1950 war die evangelische sächsische Gemeinschaft in Bistritz wieder etwas erstarkt, da die kommunistische Industrialisierung der Stadt den Zuzug der Sachsen aus den Nachbardörfern mit sich brachte. Zudem wurde das Bistrizer Pfarramt erste Anlaufstelle der geistlichen und wirtschaftlichen Betreuung der kleinen evangelischen Diasporagemeinden des Nösnerlandes und der Bukowina und ist das bis heute.

Die Stadtpfarrkirche, der sonntägliche Gottesdienst, die deutsche Sprache, wie die Öffnung zur ökumenischen Zusammenarbeit und zur rumänischen Öffentlichkeit stellen heute Identifikationsmerkmale der evangelischen Gemeinde dar.

Noch mehr, sie haben eine Bedeutung in der Stadt und Region erlangt, die gerade durch eine Katastrophe ausgelöst wurde. Am 11. Juni 2008 hatte ein verheerendes Feuer das Turmdach, mitsamt Glocken und Turmspitze sowie das Kirchendach zum Turm hin zerstört. Eine nie dagewesene Solidaritätsaktion des Bürgermeisteramtes, der Stadt und der ökumenischen Schwesterkirchen, sowie der Heimatortsgemeinschaft (HOG) in Deutschland, der Evangelischen Landeskirche und der rumänischen Gesellschaft hat dazu geführt, dass eine Solidaritätswelle entstand, die in Bistritz zu einem exemplarischen Neben-, Mit- und Füreinander der Kirchen, Ethnien und Kulturen geführt hat und weiter lebt. So wurde die größte Katastrophe der jüngsten Geschichte im Nösnerland zu einem Segen für die Region, die Kirchen und die Menschen. In fünf Jahren ist die Kirche gerettet, das Kirchendach erneuert, der Turm wiederhergestellt und erhöht auf 75 m, dem höchsten im Land, mit dem höchsten Turmaufzug zwischen Wien und Moskau versehen und mit drei neuen Glocken ausgestattet, die mit ihrem melodischen Klang alle Bewohner und Besucher der Stadt zum Gebet rufen. In diesem Jahr wurden auch die Innenarbeiten am Gewölbe des Mittelschiffes und des Chorraums begonnen und werden fortgesetzt. Die Evangelische Stadtpfarrkirche ist nun auch zum Symbol der Auferstehung geworden. Die Evangelische Kirchengemeinde in Bistritz kann als die Konstante angesehen werden, im Auf und Ab der bewegten Geschichte Nordsiebenbürgens. Mit den anderen Kirchen und Menschen der Stadt ist sie gerufen, Zeugnis abzulegen vom friedlichen Nebeneinander, glaubenden Miteinander und dem Füreinander einstehen. All dies mit dem Blick auf den Herrn, dem nichts unmöglich ist und der seine Kirche getrost in die Zukunft führt.

 

Reinhart Guib

Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Rumänien